Leseprobe

Der Champagner traf zeitgleich mit dem Reporter der Toronto Daily News ein.

   Keine Ahnung, wie viel Schmiergeld er bezahlt hatte, um in dem verschwitzten T-Shirt, einer speckigen Lederjacke und fleckigen Jeans in die heiligen Hallen des Fellini’s eingelassen zu werden. Auf alle Fälle war er fest entschlossen, den Gegenwert in Form von einer Exklusiv-Foto-Session mit gefühlten zweihundert Aufnahmen wieder reinzubekommen. Er schleppte mehr Ausrüstung am Leib herum als eine Amazonas-Expedition auf dem Weg durch Dschungel.

   Ich bekam spontan das Gestänge eines Mini-Schirms in die Hand gedrückt, mit dem ich mich so neben ihm zu positionieren hatte, dass Tonys Gesicht auch ja keine störenden Lichtreflexe zierten. Dann durfte ich dem Fotografen noch beim Aufklappen des Stativs helfen, die Aufbewahrungstasche seiner Akkus halten und eine winzige Knopfzellenbatterie suchen, die ihm in der ganzen Hektik auf den Boden gefallen war. Ich sabotierte meinen Auftrag gründlich, in dem ich das kleine runde Ding so unter dem Tischbein vergrub, dass es frühestens bei der nächsten Totalrenovierung wieder auftauchen würde.

   Mittlerweile hatte ich so eine Mordswut, dass ich am liebsten auf allen Vieren weiter Richtung Ausgang gekrochen wäre. Mein erstes Date. Mein erstes Date mit meinem absoluten Traumprinzen. Zeit für das erste vorsichtige Kennenlernen. Nette kleine Geschichten aus der Jugend. Entdecken von gemeinsamen Hobbys und Lieblingsessen. Augen, die sich nicht mehr voneinander lösen konnten, Fingerspitzen, die sich wie zufällig berührten, Lächeln, in dem man ertrank …

   Stattdessen hockte ich wie ein Frosch am Gartenteich unter einem Tisch und suchte auftragsgemäß nach einer blöden Knopfzellenbatterie, während um mich herum das Fotoshooting tobte und immer neue Gäste Autogramme forderten. Hatte ich überhaupt irgendwas von Tony erfahren, außer dass er einen behinderten Bruder und eine klammernde Mutter hatte? Ach richtig, ja. Dass er aus Chicago kam, der Stadt mit der momentan höchsten Mordrate in ganz USA.

   Tonys Gesicht tauchte verkehrt herum in meinem Blickfeld auf.

   »Magst du auch aufs Foto?«, fragte er und lächelte entschuldigend. »Wir sind mit den Solo-Aufnahmen fertig.«

   Ich war so schnell wieder auf den Beinen, dass ich beinahe die Tischplatte von unten gerammt hätte. Ein Foto. Ein Foto von mir und Tony. In der Toronto Daily News. Meine Mutter würde begeistert sein..

 

»Ein toller Abend«, seufzte Tony wohlig, als er mir die Tür zu seiner Corvette öffnete. »Die Fans hier sind fast noch verrückter als in L.A. Wenn ich da an die Mädels am Venice Beach während der College-Ferien denke …«

   Ich dachte nur an mich. An mich und Tony. Und seinen Arm um meine Hüfte, während wir gemeinsam in die Kamera lächelten.

   Und jetzt, in der prickelnden Enge des Sportwagens hatte ich ihn endlich wieder ganz für mich allein. Zeit für all die Fragen, die ich ihm eigentlich während des Dinners hatte stellen wollen.

   Leider herrschte jetzt, kurz vor elf, kaum Verkehr Richtung Bayview Hills. Und Tony war mit seinen Gedanken nur bei einem: Eishockey. Dem nächsten Spiel gegen die Florida Alligators. Der Startaufstellung. Der Zusammensetzung des Blocks, in dem er spielte. Vorzüge seiner neuen Team-Kameraden. Nachteile seiner neuen Team-Kameraden. Vorzüge seiner alten Team-Kameraden. Nachteile seiner alten Team-Kameraden.

   Als wir in Woodmill Crescent einbogen, brummte mir der Kopf vor lauter ›Jimmys‹ und ›Johns‹, ›Toms‹ und ›Peters‹. Die russischen Namen konnte ich mir sowieso nicht merken. Irgendwie trugen alle den Spitznamen ›Russian rocket‹ und waren Alkoholiker.

   »Ein toller Abend«, wiederholte Tony, als er mich an der Einfahrt zu seiner Villa aussteigen ließ. »Es gibt nicht viele Girls, mit denen man sich über Eishockey unterhalten kann. Wirklich.«

   Ich strahlte ihn an, während ich mich zurück ins Innere beugte.

   »Tja, Eishockey interessiert mich halt«, flunkerte ich. »Und wenn du willst … wir könnten ja mal wieder …«

   »Klar, machen wir!«, rief Tony fröhlich. »Du findest den Weg bestimmt allein?«

   »Bitte? Ach so, ja. Ja, natürlich.« Die selbstbewusste Frau von heute hat es nicht nötig, von ihrem Kavalier bis zur Haustür gebracht zu werden. Sie kann Karate, ist in Verhandlungstaktiken mit Geiselnehmern geübt und hat immer eine Dose Pfefferspray zur Hand. Ich warf Tony noch ein besonders strahlendes Lächeln zu, wünschte ihm eine gute Nacht und drückte die Autotür vorsichtig ins Schloss.

   Dann trat ich einen Schritt zur Seite und sah den Rücklichtern zu, wie sie rotglimmend in der Dunkelheit der Garage verschwanden. Das Eingangstor rastete mit einem leisen Scheppern ein, und mir blieb nichts anderes übrig, als den Heimweg anzutreten. Allein, aber mit einem ganzen Schwarm Schmetterlingen im Bauch. Wir würden uns wiedersehen. Ganz bestimmt.

   Er hatte es doch auch gesagt.

 

Das mit dem Wiedersehen war nicht so einfach, wie ich es mir im Überschwang der Gefühle an unserem ersten gemeinsamen Abend vorgestellt hatte. Ganz und gar nicht.

   Als ich in dieser denkwürdigen Nacht die Hintertür zum Dienstbotentrakt aufschloss, fiel mir ein, dass ich Tony noch nicht mal meine Handynummer gegeben hatte. Bestimmt war es ihm im ganzen Trubel völlig entfallen, mich danach zu fragen.

   Na ja, dachte ich und zuckte innerlich mit den Schultern. Egal. Er wusste ja, wo ich wohnte. Im schlimmsten Fall konnte er ein kleines Briefchen in den Hampton’schen Postkasten werfen, der sich direkt am Gehweg unter einem mächtigen Kirschlorbeerbusch versteckte.

   Doch am nächsten Tag lag weder ein hübscher, kleiner Briefumschlag auf dem Sideboard, wo Marie-Jo immer die Post für mich deponierte, noch klingelte es an der Haustür, obwohl ich mich mit einem Buch auf den protzigen Ledersessel in der Ecke der Eingangshalle auf die Lauer gelegt hatte. Marie-Jo und ich genossen nämlich unvermutet sturmfreie Bude.

   Mrs Hampton hatte sich am Vormittag Richtung Miami verzogen, wo sie sich kurzentschlossen ein Entspannungswochenende im Ferienhaus am Strand gönnen wollte. Wahrscheinlich war ihr sauer aufgestoßen, dass ich ein Date mit Tony Taranti gehabt hatte und sie nicht. Na, daran würde sie sich gewöhnen müssen. Und ihr Gesicht, wenn sie von unserer Verlobung hörte, wollte ich besser gar nicht erst sehen.

   Als sie ihren Mann von ihren Erholungsplänen unterrichtete, dauerte es keine dreiviertel Stunde, dass Mr Hampton ebenso kurzentschlossen daheim auftauchte, Marie-Jo darum bat, einen Koffer mit dem Allernötigsten für ein, zwei Tage Kurzurlaub auf den Bahamas herzurichten, und pfeifend mit einem Samsonite in der Hand und einer albernen Baseball-Cap auf dem Kopf Richtung Flughafen verschwand.

   Marie-Jo blickte der Limousine stirnrunzelnd nach und murmelte etwas von ›ewiger Liebe‹ und ›Männer, die einfach nicht treu sein können‹. Ich hörte nicht hin. Das Buch war spannend, die Zukunft rosarot und das Leben einfach nur schön.

 

Als sich die Dunkelheit durch die großen Fensterscheiben in die Eingangshalle schlich, war das Leben gar nicht mehr so schön. Die Heldin in der Geschichte erwies sich auf die Dauer als ziemlich dämlich, mein Hintern schmerzte immer noch, und der mitleidige Blick, den mir Marie-Jo während ihrer Putzorgie im Treppenhaus zuwarf, gefiel mir schon gleich gar nicht. Man konnte fast auf die Idee kommen, sie hatte Bedenken, was Tony und mich anging.

   In diesem Moment fiel mir siedendheiß ein, dass ich vor lauter Warten ganz vergessen hatte, mir mindestens zwanzig Ausgaben der heutigen Toronto Daily News beim Superstore in der Rosedale Avenue zu besorgen. Gott sei Dank hatte die kleine Filiale bis um zehn Uhr offen. Ich schoss vom Sessel hoch und wich etwas steifbeinig Marie-Jos Staubsauger aus.

   »Wo willst du denn hin?«, rief mir Marie-Jo nach, als ich den Türknauf zum Dienstbotentrakt erst mal in die verkehrte Richtung drehte. Ich würde mich nie an das nordamerikanische System gewöhnen. »Ich wollte uns eine Tarte alsace zum Abendessen in der Mikrowelle warm machen. Zur Feier des Tages.«

   »Muss nur schnell in den Superstore«, rief ich durch den Türspalt zurück. »Zeitung kaufen. Du wirst begeistert sein, wenn du siehst, was drin steht. Bis später!«

   »Meinst du deinen Ellenbogen?«

   Ich wirbelte so schnell auf dem Absatz herum, dass ich mit dieser Pirouette garantiert das Vortanzen für die Berliner Staatsoper gewonnen hätte.

   »Was’n für’n Ellenbogen?«, hauchte ich und schob mich wieder zurück in die Eingangshalle. Mir schwante Übles.

   »Na, der da!«, rief Marie-Jo und schwenkte eine zusammengefaltete Zeitungsseite, die sie offensichtlich schon seit Stunden mit sich in der Schürzentasche herumtrug. »Der blaue. Das ist doch deiner, oder?«

   Ich humpelte so schnell zu ihr hinüber, wie es mein lädiertes Hinterteil zuließ, und riss ihr das Blatt aus der Hand.

   Tatsächlich.

   Tony, wie er leibte und lebte. Strahlend, lächelnd, breitschultrig. Im Fellini’s. Dieser blutrote Plüsch war unverkennbar. Neben ihm, ganz am Rand, ein Stück petrolfarbener Jersey-Stoff. Man konnte den Fleck auch für ein Stuhlpolster oder einen Druckfehler halten.

   Ich sank wimmernd auf dem Sessel zusammen.

 

Die nächsten Tage sollten nicht besser werden.

   Auch wenn mich Marie-Jo mit Hinweisen auf Auswärtsspiele tröstete, die Tony mehrere tausend Meilen weit von Toronto wegführten, fühlte ich langsam eine gewisse Unruhe in mir aufsteigen. Hätte er nicht wenigstens eine kleine Notiz in den Briefkasten werfen können? Auf dem Weg zum Flughafen kurz klingeln und sein Bedauern darüber ausdrücken, dass er die ganze Woche von Miami nach St. Louis, von San José bis Vancouver unterwegs sein musste? Ich hatte schließlich Verständnis für seinen aufreibenden Job, der ihn zu einem Leben aus der Sporttasche zwang. Nur sollte er zwischendurch mal vor der Haustür stehen …

   Ich beruhigte mich mit dem Gedanken, dass er wohl noch nicht sehr viele Erfahrungen mit festen Beziehungen gesammelt hatte, und sich alles einspielen würde, wenn er und ich erst richtig zusammen waren. Schließlich hatte er die Idee doch auch toll gefunden, mich bald wiederzusehen, oder? Sicher lag er gerade jetzt wach auf seinem Bett in irgendeinem Businesshotel-Zimmer, die in allen Städten der Welt gleich aussahen, und dachte an mich. Vielleicht bereute er in genau diesem Moment, meine Handynummer nicht zu kennen. Ein nettes Plaudern vor dem Schlafengehen, der Austausch von nichtigen Neuigkeiten, das Gefühl, über tausende von Meilen entfernt sich doch ganz nahe zu sein …

   Mit diesem sehnsuchtsvollen Gedanken schlief ich ein.

   Nacht für Nacht.

Schade. Das romantische Dinner zu Zweit war leider nicht ganz so erfolgreich, wie Vanessa es sich erträumt hatte. Aber ihr bleibt ja noch die ganze Spielsaison der Toronto Ice Kings, um Tony Taranti zu erobern - oder?

 

Wer wissen will, ob es Vanessa schafft, sich ihren Eisprinzen zu angeln - Himbeereisprinz ist erhältlich als E-Book und als Taschenbuch.