Leseprobe

Und – zack! – knallte die Pforte hinter uns zu. Oho, die Frau hat echt Feuer unterm Hintern, wenn sie in Fahrt kommt. König Jaguarherz wäre damals vor Freude um den Opferaltar getanzt, hätte er so einen Anführer in seiner Streitmacht gehabt.

   Jetzt stürmte die Frau mit den goldenen Haaren durch den Korridor davon, knapp gefolgt von ihrem Sklaven-Ehemann, der vor lauter Taschen- und Sonnenbrillen- und Handtücherschleppen gar nicht wusste, wie ihm geschah. Ich winkte ihnen freundlich nach. Bis zur heiligen Stunde des Sonnengottes würden sie hoffentlich nichts Schlimmeres anstellen, so dass ich Zeit hatte, meinem Kumpel tief unter Tage die Neuigkeiten brühwarm zu erzählen.

   Na, der würde Glubschaugen machen, was hier oben so alles passierte, während er im Dunklen hockte und nach Fisch stank. Ein Mord! Ein richtiger kleiner, feiner Mord! Das klang nach hektischer Spurensuche, bösen Verdächtigungen, falschen Anschuldigungen, und – wer weiß? – vielleicht flogen sogar noch ein paar Kandidaten ins Wasser. Direkt in die klaffenden Mäuler der Seeungeheuer. Ich tanzte fröhlich pfeifend die Stufen herunter.

   Langsam begann mir diese komische Kreuzfahrt richtig Spaß zu machen.

 

Zwei Geisterseelen, ein Gedanke. Der Klabautermann erwartete mich bereits am Fuß der Treppe, aufgeregt von einem Beinchen aufs andere hüpfend.

   »Moin, Moin, Landratte!«, quiekte er, und der Gestank von vergammeltem Thunfisch klatschte mir rechts und links um die Ohren. »Olle Geschichte, was? Komm gerade aus’m Generatorenraum. Dacht schon, der Motorblock Nummer 3 is wieder im Eimer. Hat mich glatt aus meiner Hängematte geholt, das Bremsmanöver heute früh. War noch nicht mal drei Glasen durch. Aber keine Angst, der Diesel tuckert wie geschmiert. Nich eine Schraube locker. Wir sind ja hier nich auf ’ner Dschunke aus Shanghai.«

   Ich winkte lässig ab. »Vergiss die Schrauben«, sagte ich und setzte ein ernstes Gesicht auf, das dem Anlass entsprach. »Mord.«

   Das Männchen reagierte wie erwartet. Sein Mund klappte so weit auf, dass man sämtliche algenbewachsenen Zähnchen sehen konnte. Und leider auch sein Abendessen von gestern. Backfisch. Mit Erbsen und Brokkoli.

   »Hä?«, stammelte der Kleine und wedelte mit seinen rüschenumwickelten  Ärmchen. »Wat is? Mord? Nee!«

   »Aber sicher doch!«, sagte ich. »Mord! Getarnt als Selbstmord«, fügte ich noch hinzu. Für den Fall, dass sich ein fischgrätenverschluckender, nachthemdtragender Schiffsgeist irgendwas Konkretes unter Selbstmord vorstellen konnte. Für den gab’s bestimmt nur ›Kielholen‹ und ›Über die Planken rutschen‹.

   »Nee!«, jaulte das Klabautermännchen. »So ’n Blödsinn!«

   »Mord«, wiederholte ich. Wobei – Mord klang irgendwie ziemlich hart für die Tatsache, dass jetzt endlich mal Ruhe auf dem Balkon war. In diesem Fall konnte man durchaus auch von einer guten Tat im Dienste der Allgemeinheit sprechen.

   »Nee«, sagte die Nervensäge, störrisch wie ein Wasserschwein in den Wechseljahren. »Bin ich da oder bin ich nich da?«

   »Wie bitte?«, fragte ich verdattert. »Natürlich bist du da. Klar und deutlich. Sogar mit Geruch. Leider.«

   »Na also«, sagte das Männchen und zog eine Schnute.

   Ein paar Minuten lang herrschte Schweigen, während wir einem blauen Zwerg dabei zusahen, wie er die Treppe herunter stolperte und mit Hilfe der Wand zum Stehen kam. Es rumste ganz ordentlich, muss ich sagen. Die Kleinen haben wirklich einen harten Schädel. Und fluchen können sie auch, guter Gänsegeier. Da wurde ja sogar ich ganz verlegen – und ich hab im alten Nilkatún immer den ersten Platz im Böse-Wörter-Ausdenken belegt.

   Schließlich verschwand der zornige blaue Zwerg mit ein paar Handtüchern in der Hand und einer Beule auf der Stirn durch die Pforte Richtung Geheimgang, an dessen Ende die Behausung des Klabautermanns lag, und wir konnten uns ungestört wieder unserer netten Unterhaltung widmen.

   »Also«, sagte ich und hoffte, dass die kleine Abwechslung dem Geisteszustand des Klabautermannes gutgetan hatte. »Was hat deine geschätzte Anwesenheit mit ’nem Mord zu tun?«

   Der Zausel verdrehte doch glatt wieder seine wässrigen Glubschaugen, bis sie so hellblau waren wie der Morgenhimmel überm Dschungel.

   »Is es denn so schwer?«, seufzte er. »Ich bin da, also – logische Schlussfolgerung – kein Mord, kein Totschlag. Nicht mal ’n läppischer Herzinfarkt wie letzte Woche.«

   »Kapier ich nicht.«

   »Der Klabautermann verlässt das Schiff nicht, es sei denn, Klammer auf, so diverse Schilderungen aus dem Ostseeraum, Klammer zu, Punkt eins, das Schiff ist dem Untergang geweiht, Punkt zwei, die Moral der Mannschaft tendiert zu kriminellen Machenschaften, oder Punkt drei, ein Tötungsdelikt hat an Bord stattgefunden«, leierte der Kleine herunter. Er stemmte die Fäuste in die Hüften und sah mich herausfordernd an. Ich schwieg zurück, bis er aufgab. »Heißt im Klartext also: Der Kahn schippert ruhig durch die See, aktuell mit – Moment – knapp neun Knoten, keine Spur von Meuterei, und keine Leiche. Weder freiwillig noch unfreiwillig.«

   Hoppla, da stimmte doch was nicht. Entweder der Kollege war nicht ganz auf Zack, oder … Ich knabberte geistesabwesend an einer Klaue herum. Nochmal von vorn. Die nervige Hexe war weg, der Mann jammerte und heulte, das Schiff machte eine Vollbremsung, viele Männer in weißen Hemden und Hosen sprangen aufgeregt herum, und mein Lieblingsmenschenwesen behauptete, sie hätte einen Beweis für Mord. So weit passte alles zusammen. Frau weg – Mord. Logisch.

Das Klabautermännchen behauptete das Gegenteil. Frau nicht weg – kein Mord. Auch logisch.

   »Nu?«, fragte der Kleine in meine Überlegungen hinein. »Alles klar?«

   Nein. Definitiv nicht.

   »Also«, brummte er und strich sich über seinen grünschimmligen Bart. »Angeblich ist jemand weg. Woher stammt diese Information?«

   »Vom Ehemann der … offensichtlich Abwesenden. Besser gesagt, er behauptet, die dumme Schnepfe hat sich selbst umgebracht. Und mein Menschenwesen sagt, sie hat einen Beweis, dass der Mann nachgeholfen hat. Beim Selbstmord«, fügte ich zur Klarstellung hinzu.

   Ich erntete ein prustendes Gelächter, dass mir die fischölgetränkten Spucketröpfchen geradezu um die Fledermausohren flogen.

   »Nee!«, grölte der Kleine, während er sich auf die Schenkel klopfte. »Du glaubst auch alles, was?«

   Tu ich nicht. Ehrlich nicht. Aber wenn doch sogar der Schiffshäuptling extra …

   »Pass auf, Jungchen«, sagte der Klabautermann und legte mir gönnerhaft einen rüschenbewehrten Arm um die Schulter. »Da hat sich einer einen kleinen Jux mit dir erlaubt. Ein Spasseken, kapiert?«

   Ich schüttelte so heftig den Kopf, dass seine Pranke von meiner Schulter herunterrutschte und unschöne Ölstreifen auf meinem hübschen Affenfell hinterließ. Hoffentlich bekam ich die mit der Haarbürste meines Lieblingsmenschenwesens wieder raus.

   »Glaub ich nicht«, protestierte ich und wischte unauffällig über mein Fellkleid. »Die Frau mit den goldenen Haaren macht keine Spasseken mit mir. Würde die sich nie erlauben.« Jetzt waren die Streifen weg. Dafür ein kokosnussgroßer Fleck da. Ich seufzte. »Nein, die Jammerziege ist verschwunden. Ganz bestimmt. Vielleicht hat sie sich mitten in der Nacht abgesetzt. Mit einem von den kleinen Booten, die draußen rumbaumeln.«

   Der Klabautermann kratzte sich am Bart. »Möglich«, sagte er langsam. »Aber ob ’n schwaches kleines Frauchen ganz allein ’ne Schaluppe vom Schanzkleid hieven kann …«

   Wir legten eine kurze Schweigeminute ein, um uns die Sache durch den Kopf gehen zu lassen.

   »Vielleicht hat sie sich mit einem von den Sklaven abgesetzt?«, dachte ich laut. »Die mit den weißen Hemden und Hosen, die immer einen auf wichtig machen, du weißt schon.«

   Das Männchen zog eine Schnute. »Kann nich sein. Alle Offiziere an Bord und da, wo sie hingehören. Das hier is ’n ordentliches Schiff, keine Dschunke aus Shanghai. Da pass ich schon auf, Jungchen.«

   »Heißt also, die olle Kuh ist entweder getürmt – oder hat sich verlaufen. Hockt jetzt wahrscheinlich im Keller und wundert sich.«

   »Hmmm«, grunzte der Kleine. »Auf’m Schiff verlaufen? So blöd kann doch nich mal ’ne dusslige Landratte sein … Aber das wär ’ne Möglichkeit …«

   Sogar eine sehr wahrscheinliche, wenn ich an die traurige Gestalt mit dem zänkischen Blick dachte. Vielleicht hatte sie mitten in der Nacht Heißhunger auf xocolatl gekriegt (zumindest geht es mir immer so, wenn ich unter einem plötzlichen Anfall von Heimweh nach Nilkatún leide. Oder unter Langeweile. Oder einfach so), war durch die schmalen Gänge Richtung Vorratsräume gewankt und saß jetzt irgendwo im finstersten Eck fest. Und futterte xocolatl. Ich teilte dem Klabautermännchen meine Gedankengänge mit. Gütiger Gänsegeier, da war aber Schluss mit lustig.

   »Proviant-Klau?«, kreischte es und rollte mit seinen Augen, dass mir schon vom Zugucken schwindlig wurde. »Dafür wurd man früher Kiel geholt! Und zwar dreimal hintereinander! So nich! Nachher vergreift die sich auch noch am Alkohol! Na, der werd ich aber mal …«

   Und – Peng! Krach! Bumm! – polterte das Kerlchen so zackig die Treppe rauf, dass sogar sein Mundgeruch Schwierigkeiten hatte, ihm zu folgen. Ich selber gab schon nach dem zweiten Treppenabsatz auf.

   »Meldung zum Ende der Vormittagswache auf Deck 3, direkt vor’m Schott. Und zwar pünktlich!«, hallte es von ganz weit oben. »Bis dahin bin ich mit dem Wachgang durch. Kombüsen-Kleptomanen an Bord. Nee! Dass ausgerechnet mir so was passieren muss …«

   Das Gebrummel verstummte schlagartig mit dem Knallen einer Stahltür.

   Tja, und ich lehnte keuchend am Treppengeländer und gab mich meiner Verwirrung hin. So ganz glaubte ich meine Geschichte mit der Frau, die sich im stillen Kämmerlein durch die Vorräte fraß, ja selber nicht.

 

* * *

 

Tom kannte seine Frau gut genug, um ihren verträumt-entspannten Blick, der sich irgendwo hinterm Horizont verlor, richtig zu deuten.

   »Nina, ich hab nachgedacht. Lass es gut sein mit der Geschichte. Das mit dem Parfüm ist kein Beweis. Echt nicht«, flüsterte er, damit es die ältere Dame auf der Liege nebenan nicht mitbekam.

   Nur das leichte Zucken ihrer Mundwinkel bewies, dass Nina ihn gehört hatte.

   Tom versuchte es noch einmal.

   »Und der Abschiedsbrief? Die Tatsache, dass die Frau durchgeknallt war, wie jeder mitbekommen hat? Die Tabletten?«

   »Quatsch.« Ninas Blick löste sich vom wolkenlosen Spätsommerblau des Himmels und wanderte zu Toms Gesicht hinüber. »Wenn jemand so schwere psychische Probleme hat, dass er sich umbringt, dann hat er an gar nichts mehr Freude. Auch nicht an ’nem Parfüm. Hat diese Irene beim Frühstück gesagt. Die ist nämlich auch depressiv.«

   »Noch ’ne Bekloppte an Bord. Na, das kann ja heiter werden.« Tom rückte die Sonnenbrille auf der Nase zurecht. »Ich geb dem Sicherheitsoffizier mal ’nen Tipp, dass sie die Boote gleich im Wasser lassen können.«

   »Sehr witzig, Schatz. Nein, ich bleib dabei. Der Typ hat seine Frau umgebracht. Praktisch vor unseren Augen. Und ich werd es ihm nachweisen. Ich muss bloß noch dahinterkommen, wie.« Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum. »Vielleicht macht er noch einen Fehler …«

   »Oder wir endlich mal ganz entspannt Urlaub. Hast du den Ausflug morgen nach Jerusalem schon vorbereitet, damit du wieder meine ganz persönliche Reiseleiterin spielen kannst?«

   Nina schüttelte geistesabwesend den Kopf. Ein winziger, rostiger Nagel fing gerade an, sich in ihre Gehirnwindungen zu bohren. Irgendwas hab ich noch übersehen, dachte sie. Genau wie anfangs das Parfüm … Tom hat gerade was Wichtiges gesagt … Ach verdammt. Erst hab ich ’ne halbe Ewigkeit gebraucht, um mich an die Sache im Duty-free-Shop zu erinnern, und jetzt ist schon wieder der Wurm drin. Im Fernsehen kommen die Ermittler schon nach fünf Minuten drauf, wer der Mörder ist. Sogar, wenn sich’s dabei um den Polizeipräsidenten persönlich handelt. Nur ich steh dick und fett auf der Leitung. Genauso dick und fett wie meine Oberschenkel …

   Sie kniff sich in die paar Gramm Fettgewebe zu viel an den Beinen, die Tom netterweise ›weibliche Rundungen‹ nannte. Höchste Zeit für ’ne runde Bauch-Beine-Po im ›Body & Soul‹ –  bevor aus der Wölbung ’ne echte Problemzone wurde. Ihre Gedanken wanderten von den Oberschenkeln wieder zurück zum eigentlichen Thema. Was hatte Tom vorhin gesagt? Ein ganz bestimmtes Wort … Aber das Schlimmste war, dass dieses Wort nicht zu ihrer Theorie vom kaltblütigen Mord passte. Absolut nicht. Mist. Mist. Doppelmist.

   »Hier, der Reiseführer«, sagte Tom munter und ließ das Buch auf Ninas Bauch klatschen. »Beschäftige dich doch mal zur Abwechslung mit was Vernünftigem. Soll ich dir auch die Ausflugsbroschüre aus der Kabine holen?«

   Nina griff nach dem Reiseführer und blätterte lustlos durch die buntbebilderten Seiten.

   »Ne, lass mal. Ich hab’s noch im Kopf. Klagemauer, Grabeskirche, Via Dolorosa, Garten Gethsemane, Mittagessen in ’nem Kibbuz, und so weiter, und so fort. Standardprogramm. Der Typ wird wahrscheinlich nicht dabei sein, oder?«, fügte sie nach einer winzigen Pause hinzu.

   »Na, also wenn er seinen zweiten Tag als Witwer gleich munter auf ’nem Ausflug feiert, fang ich direkt wieder an, an deine Theorie von Mord und Totschlag zu glauben.«

   »Mensch, hoffentlich geht er in Haifa nicht von Bord!«, rief Nina und ließ das Buch sinken. »Bis morgen früh schaff ich es bestimmt nicht, genügend Beweise zu sammeln. Meinst du, er bricht die Reise ab?« Sie sah besorgt zu Tom hinüber.

   »Woher soll ich das wissen?«, sagte Tom. »An seiner Stelle würde ich heimfahren. Logisch. Trauerfeier organisieren, Versicherungen anschreiben …«

   »Versicherungen …«, wiederholte Nina geistesabwesend. »Natürlich! Noch ein Grund mehr. Bestimmt kassiert er jetzt ihre Lebensversicherung …«

Ob sich der Klabautermann nicht doch mal irrt? Hat Nina Recht mit ihrer Vermutung, dass die Frau aus der Nachbarkabine gewaltsam über Bord gegangen ist?

Wer wissen will, ob Nina es schafft, einen Mord, der vielleicht keiner ist, bis zum Hafen von Antalya aufzuklären - Leiche ahoi! ist erhältlich als E-Book und als Taschenbuch.